Computergestützte Untersuchungsmethoden sind fester Bestandteil unseres klinischen Alltags geworden und unverzichtbar für eine zeitgemäße, augenärztliche Patientenversorgung. Dabei obliegt die Interpretation der so erhobenen Befunde allein dem behandelnden Arzt. Doch welche Unterstützung kann Künstliche Intelligenz (KI) und speziell die Deep Learning-Algorithmen mittlerweile dem Augenarzt bieten und wo liegen ihre Grenzen?
Künstliche Intelligenz – Machine Learning – Deep Learning
Die Bezeichnung Künstliche Intelligenz (KI) ist ein weit gefasster Überbegriff für intelligente Maschinen, die menschliches Denken oder Verhalten nachahmen.1 Ein Teilaspekt der Künstlichen Intelligenz ist das sog. Machine Learning. In diesem Fall werden Algorithmen so konzipiert, dass sich der Computer an Umgebungssituationen anpassen kann, ohne exakt dafür programmiert worden zu sein.
Das bedeutet, dass diese Maschinen ihre bestehende Programmierung im weiteren Verlauf an neue Situationen anpassen und somit situationsentsprechend reagieren können. Für viele praktische Anwendungen, auch außerhalb der Medizin, ist diese Fähigkeit entscheidend – denken wir beispielsweise an autonomes Fahren, wo natürlich nicht jede mögliche Situation exakt vorhersagbar ist. Der Algorithmus muss sich anpassen. Mittlerweile gibt es lernende Computerprogramme, die mehrschichtig aufgebaut sind (Multilayer Struktur), so dass jede Verarbeitungsebene die Ergebnisse der vorherigen Schicht als Input nutzt und das System sich stetig selbst programmiert. Diese hoch komplexe Form der Künstlichen Intelligenz bezeichnet man als Deep Learning.
Deep Learning in der Augenheilkunde
In der Medizin wird die Künstliche Intelligenz und speziell die Deep Learning-Technologie angewendet, um Computer so zu programmieren, dass sie in der Folge definierte Fragestellungen eigenständig beantworten können. Das Prinzip ist es, zunächst mit Hilfe eines Trainingsdatensatzes, also einer großen Menge geeigneter Daten, das System zu formen.
In der Studie von Poplin et al. aus dem Jahr 2018 gelang es Forschern einen lernenden Algorithmus anhand von über 280.000 Netzhautbildern mittels Deep Learning zu trainieren. Dieser Algorithmus war anschließend in der Lage, auf Fundusbildern anderer Probanden, deren kardiovaskuläre Risikofaktoren zu bestimmen: Informationen über Geschlecht, Alter, Rauchgewohnheiten, Blutdruck, Body Mass Index (BMI) und HbA1c-Wert ließen sich verlässlich vom System bestimmen.2
Der Algorithmus hatte also anhand der Netzhautbilder des Trainingsdatensatzes gelernt, charakteristische anatomische Merkmale auf den Aufnahmen zu erkennen. Limitierend wirkt sich bei dieser Technologie der begrenzte Umfang des Trainingsdatensatzes aus. Um beispielsweise die Wahrscheinlichkeit für schwere kardiale Komplikationen in der genannten Studie zu ermitteln, wären die verwendeten Daten bei weitem zu gering gewesen.
Diagnose per Computer am Netzhautbild
Regelmäßige Funduskontrollen sind bei Diabetikern ein Muss, um pathologische Netzhautveränderungen frühzeitig zu erkennen und sie rechtzeitig zu behandeln, bevor potentielle Komplikationen und Sehminderung auftreten. Eine weitere Studie zum Thema Künstliche Intelligenz untersuchte die Möglichkeit, ein solches Diabetesscreening mit Hilfe eines Deep Learning-Algorithmus zu automatisieren. Die Forscher führten ein Netzwerktraining mit über 12.000 Netzhautbildern von Diabetikern durch, die zuvor von Ophthalmologen hinsichtlich der Schwere einer möglichen diabetischen Retinopathie (DR) und dem Vorhandensein eines diabetischen Makulaödems (DMÖ) klassifiziert worden waren. Der so erstellte Algorithmus konnte dann mit einer Sensitivität von über 95 % und einer Spezifität von über 90 % eine behandlungsbedürftige diabetische Retinopathie erkennen.3
Was bringt die Zukunft?
In den USA befinden sich automatisierte Screeningverfahren für Netzhauterkrankungen bei Diabetes mellitus bereits in der praktischen Anwendung – die erstmalige Zulassung erfolgte dort 2018. Aber auch in Deutschland gewinnt die Künstliche Intelligenz in der Medizin zunehmend an Bedeutung, um den Arzt beispielsweise bei der Befundung komplexer bildgebender Verfahren zu unterstützen. Telemedizinische Pilotprojekte wie das der Universitätsaugenklinik Greifswald zum automatisierten Screening, vorgestellt auf dem DOC 2021, befassen sich auch in Deutschland mit ähnlichen Fragestellungen.
Die individuelle Validierung sämtlicher Befunde auf Basis medizinischen Wissens und ärztlicher Erfahrung sowie die persönliche Beratung des Patienten bleiben trotz maschineller Unterstützung sicher auch in Zukunft Kernkompetenzen des behandelnden Arztes.
2. Poplin R et al., Nat Biomed Eng 2018; 2(3): 158-164
3. Gulshan V et al., JAMA 2016 Dec.13;316(22): 2402-2410