Ursache der SMA
Der SMN-Proteinmangel – Folge des SMN1-Gendefekts
Spinale Muskelatrophien (SMA) bilden eine Gruppe genetischer Erkrankungen, bei denen es zu einer (nicht-entzündlichen) Degeneration von Motoneuronen in Rückenmark und Hirnstamm kommt.1 Die häufigste Form ist die so genannte 5q-assoziierte SMA.1 In 96% der Fälle ist die Ursache der 5q-assoziierten Spinalen Muskelatrophie eine homozygote Deletion im SMN1-Gen, dessen Genort der lange Arm auf Chromosom 5 ist (5q).2 Bei 4% der SMA-Patienten liegt eine komplexe Heterozygotie vor – mit einer SMN1-Gendeletion auf dem einen Chromosom und einer SMN1-Loss-of-function-Genmutationen auf dem homologen Chromosom.2 Der SMN1-Gendefekt führt zu ubiquitär verringerten SMN-Proteinmengen, einem SMN-Proteinmangel in Motoneuronen sowie möglicherweise einem Mangel in weiteren Geweben und Organen.3
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Welche Rolle spielt das SMN2-Gen?
Bei Menschen mit SMA ist die Bildung des SMN-Proteins auf das paraloge SMN2-Gen beschränkt. Im Vergleich zum SMN1-Gen liegt im Exon 7 des SMN2-Gens ein C-T-Nukleotidaustausch vor, wodurch im mRNA-Spleißprozess Exon 7 meist übersprungen wird.4 Die Folge: 90% des SMN-Proteins, das über das SMN2-Gen gebildet wird, ist instabil und wird rasch abgebaut.5 Von Mensch zu Mensch variiert die Anzahl der SMN2-Genkopien im Erbgut. Für SMA-Patienten gilt dabei: Je geringer die Zahl an SMN2-Genkopien, desto schwerwiegender ist die Erkrankung.6
Rolle der Gene SMN1 und SMN2 bei SMA [5]
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Wie wird die Spinale Muskelatrophie vererbt?
Etwa jeder 50. Mensch trägt ein defektes SMN1-Gen auf einem von zwei homologen Chromosomen ("Träger"/Carrier).7 Jedoch ist ein Träger selbst nicht an SMA erkrankt, da dieser Gendefekt durch ein korrektes SMN1-Gen auf dem anderen homologen Chromosom kompensiert wird.8
Die SMA wird autosomal-rezessiv vererbt.7 Das bedeutet: Sind beide Elternteile Träger eines defekten SMN1-Gens, liegt für die Nachkommen die Wahrscheinlichkeit an SMA zu erkranken bei 25%.7 Nur wenn die Nachkommen jeweils das defekte SMN1-Gen von Vater und Mutter erben, erkranken sie an SMA.
Autosomal-rezessive Vererbung der SMA [7]
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Für welche grundlegenden zellulären Vorgänge ist das SMN-Protein wichtig?
Das SMN-Protein ist an diversen grundlegenden Zellfunktionen beteiligt, z.B. der Expression Protein-codierender Gene und fast allen Prozessen des RNA-Metabolismus.9-11 Somit ist es unerlässlich, damit Körperzellen normal funktionieren können.
Das SMN-Protein ist beteiligt an:9-11
- RNA-Prozessierung/Spleißen (u.a. Assemblierung von Ribonukleoproteinen)
- mRNA-Transport (v.a. axonaler Transport in den unteren Motoneuronen)
- gewebeabhängige Regulation der Ribosomenaktivität zur Translation bestimmter Proteine
- Proteinabbau (Ubiquitinierung)
- Funktion des Zytoskeletts
- Endozytose und Autophagie
- Mitochondrienfunktion
Beteiligung des SMN-Protein an verschiedenen grundlegenden Zellfunktionen [9-11]
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Wie wird das SMN-Protein exprimiert?
Bei gesunden Menschen wird das SMN-Protein in fast allen Zellen exprimiert.12 Hohe Expressionslevel finden sich u.a. in ZNS, Muskeln, Pankreas, Bronchien, Knochenmark und Harnblase.12-15 Forscher gehen davon aus, dass die verschiedenen Zelltypen unterschiedlich empfindlich auf einen Mangel an SMN-Protein reagieren.16,17 Motoneurone reagieren auf diesen Mangel besonders sensibel – bei allen Patienten mit SMA treten neuromuskuläre Funktionsstörungen auf.18 Beeinträchtigungen peripherer, also nicht-neuronaler Gewebe und Organe durch den Mangel an SMN-Protein zeigen sich vor allem bei Patienten mit schweren Formen der Erkrankung.3,19-23
Verschiedene periphere Organe können vom SMN-Proteinmangel betroffen sein [3,19-24]
Spinale Muskelatrophie (SMA): Warum ist eine Erhöhung der SMN-Proteinspiegel im gesamten ZNS und darüber hinaus sinnvoll?
Die reduzierten Mengen an funktionsfähigem SMN-Protein scheinen neben Motoneuronen auch andere an der Muskelfunktion beteiligte Zellen und bei schwerer Form der Erkrankung auch Organe zu beeinträchtigen.3 Bekommen Sie hier eine Übersicht über die zellulären Housekeepingfunktionen des SMN-Proteins und den Auswirkungen des SMN-Proteinmangels.
Diagnostik der SMA
Bei Kleinkindern mit proximaler Hypotonie und Muskelschwäche, Schluckschwierigkeiten sowie einer paradoxen Atmung (Zwerchfellatmung) sollte unbedingt die Verdachtsdiagnose Spinale Muskelatrophie in Betracht gezogen werden. Dies gilt ebenso für Jugendliche mit Hypotonie und proximaler Muskelschwäche, wenngleich respiratorische Symptome bei ihnen weniger im Vordergrund stehen als bei den Kleinkindern.24 Bei einem Anfangsverdacht auf eine neuromuskuläre Erkrankung sollten die Patienten unbedingt in ein neuromuskuläres Zentrum überwiesen werden.
Die Gene SMN1 und SMN2 werden molekulargenetisch untersucht
Der Goldstandard für die Diagnose der Spinalen Muskelatrophie ist eine molekulargenetischen Untersuchung auf homozygote Deletionen im SMN1-Gen.24 Bei dem Gentest kommen verschiedene molekulardiagnostische Verfahren zum Einsatz – Multiplex Ligation-dependent Probe Amplification (MLPA), quantitative PCR oder Next-Generation Sequencing (NGS).24 Homozygote Deletionen im SMN1-Gen betreffen etwa 96% der Patienten.24 Für den Fall, dass in der Molekulardiagnostik symptomatischer Patienten eine intakte SMN1-Genkopie nachweisbar ist, muss deren Sequenz auf relevante Mutationen hin untersucht werden.24 Homozygote Mutationen in zwei oder mehr SMN1-Genkopien wurden bisher nur in blutsverwandten Familien beschrieben.25
Falls bei symptomatischen Patienten die Molekulardiagnostik auf ein intaktes SMN1-Gen hinweist, sollte die Muskelhypotonie differentialdiagnostisch als Symptom einer anderen (neurologischen/ neuromuskulären) Erkrankung abgeklärt werden.24
Im Rahmen der molekulardiagnostischen Untersuchung lässt sich auch die Anzahl der SMN2-Genkopien bestimmen. Die Kopienzahl gilt als prädiktiver Marker und spielt eine Rolle bei der Typisierung der Spinalen Muskelatrophie.26
Umfangreiche Informationen zur Diagnose der SMA
Neuromuskuläre Behandlungszentren
Liste der DGM zu neuromuskulären Zentren
Liste der DGM zu SMA-Zentren
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