Das Wachstum des digitalen Gesundheitsmarkts in Deutschland ist unaufhaltsam, was weitreichende Implikationen nicht nur für die ärztliche Versorgungspraxis und den Klinikalltag, sondern auch für die Patient:innen mit sich bringt. Mit der digitalen Transformation gehen aber auch neue Perspektiven für unser Gesundheitswesen einher: Sie kann die Gesundheitsversorgung durch Kosteneinsparungen auf eine effizientere Basis stellen und datengestützte, passgenaue Behandlungen ermöglichen. Auch wenn digitale Gesundheitslösungen längst Einzug in die legislativen Agenden gehalten haben, ist trotzdem festzuhalten, dass sich eine Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit auftut. So wird beispielsweise die elektronische Patientenakte (ePA) zurzeit von weniger als 1 Prozent der Versicherten in Anspruch genommen. Positiv zu verbuchen dagegen ist der vermehrte Einsatz von DiGAs (digitale Gesundheitsanwendungen) als Medizinprodukte, die dank des Digitalen-Versorgung-Gesetzes (DVG) aus dem Jahr 2019 nach erfolgreicher Zertifizierung die Verordnungs- bzw. Erstattungsfähigkeit erhalten können. Wie weit digitale Gesundheitslösungen heute bereits in der Versorgungsrealität angekommen sind und welche Entwicklungen und Herausforderungen den digitalen Gesundheitsmarkt treiben, skizziert der kürzlich veröffentlichte Digital Health Report von Brainwave.
Digitale Infrastruktur und Telemedizin
Der Report kommt zu einem klaren Ergebnis: In puncto digitale Infrastruktur bleibt Deutschland hinter den selbstgesteckten Zielen zurück. Während die Anfang 2022 eingeführte ePA 2.0 - trotz neuer Funktionalitäten - bislang nur eine geringe Nutzeraktivität aufweist, wurde der Start des elektronischen Rezepts aufgrund technischer Probleme mehrfach verschoben. Auch die ersten Telematikinfrastruktur-Messenger-Dienste (TI-Messenger), die als interoperable Tools den sicheren Informationsaustausch im Gesundheitswesen ermöglichen sollen, werden voraussichtlich erst 2023 ans Netz gehen. Was die Telemedizin anbelangt, zeigt sich, dass Telekonsile häufiger in Anspruch genommen werden und somit verstärkt in den Fokus der Versorgung rücken. Gleichwohl musste die Videosprechstunde auch Rückschläge einstecken - so lief die Corona-Sonderregelung zur unbegrenzten Abrechenbarkeit aus, womit die Obergrenze von 30 % wieder einsetzte.
Gesundheitsmonitoring über Wearables
Mit Blick auf die Wearables gilt, dass sie immer mehr den Alltag von Konsument:innen erobern und auch in der Technik komplexer und ausgefeilter werden. Somit werden sie allmählich auch zu einem festen Bestandteil ärztlicher Behandlungsstrategien, da sie medizinischen Fachkräften helfen, die Gesundheitsparameter von Patient:innen zu überwachen und so möglicherweise bessere Therapieerfolge zu erzielen. Ein Beispiel für diese neue Art der Medizin ist die Brisa® App, die von der Temedica GmbH in Kooperation mit der Roche Pharma AG entwickelt wurde und eine patientenzentrierte, individuelle Versorgung von MS-Patient:innen ermöglicht ( hier mehr Informationen zur App).
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs):
Obwohl DiGAs nach wie vor eher ein Nischendasein fristen, so erreichen sie doch kontinuierlich mehr Patient:innen. Allein im ersten Halbjahr 2022 sind bisher sieben neue DiGAs hinzukommen, die in das DiGA-Verzeichnis aufgenommen wurden und auf Rezept erhältlich sind. Mit Blick auf den DiGA-Markt heben sich zwei Bereiche besonders hervor, die in Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen dürften: FemTech (Frauengesundheit) und Mental Health. So wurde 2022 die erste DiGA exklusiv für Frauen ins Verzeichnis aufgenommen, die sich an Patientinnen mit Vaginismus richtet. Was Mental Health angeht, so zeigt sich wiederum, dass der Großteil der zugelassenen DiGAs zu dieser Kategorie zählt.
Trotz all dieser Entwicklungen ist der langfristige Erfolg des DiGA-Geschäftsmodells immer noch nicht gesichert: Eine Professionalisierung von DiGAs beispielsweise im Sinne des Studiendesigns steht noch aus. Außerdem ist die Frage nicht abschließend geklärt, wie DiGA-Hersteller:innen einen effektiven Zugang zu Ärzt:innen finden können.
Intelligente Entscheidungshilfen für Ärzt:innen
Intelligente Entscheidungshilfen bleiben in Deutschland weiterhin ein Zukunftsthema, da die meisten Ressourcen nach wie vor in den Aufbau digitaler Gesundheitsinfrastruktur fließen. Erschwerend kommt hinzu, dass das deutsche Gesundheitswesen längst noch nicht darauf eingestellt ist, das enorme Potential von Big Data auszuschöpfen: Es fehlen nach wie vor einheitliche Qualitätsstandards und eine Infrastruktur, die eine sektorenübergreifende Vernetzung und den Austausch von Gesundheitsinformationen überhaupt erst ermöglicht.