Special zum Rare Disease Day: Off-Label-Use bei seltenen Erkrankungen - Q&A
In Ausnahmefällen können Medikamente bei Indikationen verordnet werden, die außerhalb ihrer Zulassung liegen. Warum dieser sogenannte Off-Label-Use möglich ist, welche Risiken damit verbunden sein können und warum er häufig bei seltenen Erkrankungen zum Einsatz kommt, erfahren Sie im folgenden Q&A.
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Welche Prozesse laufen im Vorfeld der Zulassung eines Medikamentes ab?
Die Zulassung von neuen Medikamenten unterliegt in Deutschland einer strengen Regulierung. Möchte ein pharmazeutisches Unternehmen ein neu entwickeltes Medikament auf den Markt bringen, muss dessen pharmazeutische Qualität, Sicherheit sowie Wirksamkeit und Verträglichkeit zunächst über ein mehrphasiges Studienprogramm nachgewiesen werden. Nach erfolgreicher Durchführung kann die Zulassung, abhängig von der Art des Medikaments, in einem nationalen Verfahren oder im gesamten Europäischen Wirtschaftsraum beantragt werden.1,2 Die durchschnittliche Dauer der Entwicklung eines Medikaments, von der Idee bis zur Zulassung beträgt dabei 13 Jahre.3,4
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Was bedeutet Off-Label-Use?
Grundsätzlich können Ärzt:innen im Rahmen ihrer Berufs- und Therapiefreiheit Medikamente auch für Patientengruppen oder Anwendungsgebiete verordnen, die außerhalb der zugelassenen Indikation liegen.5 Denn in der Praxis kann sich zeigen, dass ein Medikament auch bei anderen als den zugelassenen Erkrankungen oder Personengruppen wirksam ist. Diese zulassungsüberschreitende Anwendung wird als Off-Label-Use bezeichnet. Auch eine Änderung der Anwendungsart oder Dosierung ist mit einem Off-Label-Use verbunden.
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Welche Risiken können mit einem Off-Label-Use einhergehen?
Während die Wirksamkeit eines Medikaments in der zugelassenen Indikation hinreichend in klinischen Studien untersucht wurde, ist dies bei der Anwendung außerhalb der Zulassung nicht der Fall. Dies gilt im gleichen Maße auch für mögliche Nebenwirkungen und Risiken speziell in Bezug auf den Off-Label-Use. Das erschwert die Abwägung des Risiko-Nutzen-Verhältnisses, da gesicherte wissenschaftliche Daten fehlen.6 Auch die Änderung der zugelassenen Dosierung beim Off-Label-Use kann mit Risiken verbunden sein, denn häufig kann die richtige Dosis nur abgeschätzt werden.6
Die Ärzt:innen sind bei einem Off-Label-Use verpflichtet, die Patient:innen umfassend über Nutzen und Risiken aufzuklären und ihre Zustimmung einzuholen.7
Beim Off-Label-Use kann sich für die verordnenden Ärzt:innen außerdem ein Haftungsrisiko für eventuelle gesundheitliche Schäden durch die Medikamentenanwendung ergeben. Hat das pharmazeutische Unternehmen dem Off-Label-Use zugestimmt oder durch sein Verhalten seine Zustimmung nahegelegt, geht die Haftung auf dieses über.7
Neben dem haftungsrechtlichen Risiko besteht für Ärzt:innen ein strafrechtliches Risiko, wenn ihnen ein als Fahrlässigkeit bewertetes Fehlverhalten bei der umfassenden Aufklärungspflicht unterläuft.8
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Was sind Voraussetzungen für die Erstattungsfähigkeit eines off-label eingesetzten Medikamentes?
Ärztliche Fachgesellschaften empfehlen den Off-Label-Use von Medikamenten nur dann, wenn wissenschaftliche Studien Nachweise für den Nutzen des Medikaments in dem nicht zugelassenen Anwendungsgebiet liefern.9 Diese Studien sind oft qualitativ hochwertig, reichen jedoch in Umfang und Tiefe nicht an die Zulassungsstudien heran.10 Damit die Kosten von Medikamenten im Off-Label-Use von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen werden können, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.5 So muss es sich um die Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung handeln, für die keine andere Therapie verfügbar ist und die Datenlage muss für einen zu erwartenden Therapieerfolg sprechen.5 Die „Expertengruppen Off-Label“ des BfArM übernimmt hier die wissenschaftliche Bewertung und empfiehlt anschließend den Off-Label-Use als verordnungsfähig oder nicht verordnungsfähig.5
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Wann erfolgt ein Off-Label-Use bei seltenen Erkrankungen?
In der Regel sollten Patient:innen ein in der Indikation zugelassenes Medikament erhalten. Doch nicht für jede Erkrankung stehen zugelassene Therapien zur Verfügung – insbesondere bei seltenen Erkrankungen fehlen diese häufig. So gab es bis vor einiger Zeit keine zugelassene Therapie für die medikamentöse Langzeittherapie bei Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen (NMOSD).
Seltene Erkrankungen stellen nicht nur die Ärzteschaft und die Betroffenen vor große Herausforderungen. Auch die Entwicklung und Zulassung von Therapien ist hier erschwert. Aufgrund der Seltenheit der jeweiligen Erkrankung ist die Rekrutierung einer auswertbaren und ausreichend großen Studienpopulation meist aufwendig und erfordert langwierige, kostenintensive Kooperationen mehrerer Studienzentren.11
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Off-Label-Use bei NMOSD?
Lange Zeit galt die seltene NMOSD fälschlicherweise als Variante der Multiplen Sklerose (MS) – aufgrund einer der MS klinisch ähnelnden Symptomatik.12 Erst die Entdeckung eines spezifischen Immunglobulin G-Autoantikörpers (Aquaporin-4-Antikörper, AQP4-Ak) im Serum von NMOSD-Patient:innen im Jahr 2004 erlaubte eine Abgrenzung der NMOSD von der MS.12 Diese Differenzierung gewann zusätzliche Bedeutung durch die Erkenntnis, dass die meisten MS-Therapeutika bei NMOSD unwirksam sind oder die Symptome verschlechtern können.13 In den letzten Jahren konnte durch die kontinuierliche Forschung und damit einhergehende Entwicklung von Immuntherapien für die NMOSD daher viel bewegt werden: Mittlerweile stehen mit Eculizumab14, Satralizumab▼15 und Inebilizumab16 drei zugelassene Therapieoptionen zur langfristigen Schubprophylaxe zur Verfügung
Fazit
Insbesondere im Bereich der seltenen Erkrankungen stehen häufig keine oder keine zufriedenstellenden Therapieoptionen zur Verfügung und die Entwicklung von spezifischen Therapien ist mit großen Herausforderungen verbunden. Innovationen, wie die Entwicklung neuer Therapieoptionen bei der seltenen NMOSD, zeigen, wie wichtig kontinuierliche Forschung an Therapielösungen im Bereich seltene Erkrankungen auch für die Betroffenen ist. Denn es ist ein grundsätzliches Recht von Patient:innen mit wirksamen und sicheren Medikamenten versorgt zu werden, unabhängig von der Prävalenz ihrer Erkrankung.
Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass diese Präsentation keinen Einsatz unserer oder anderer Produkte vor oder außerhalb der jeweiligen arzneimittelrechtlichen Zulassung bezwecken oder fördern soll.
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Referenzen
- § 21 bis 37 Abschnitt 4 AMG
- Paul-Ehrlich-Institut. Zulassungsverfahren;
https://www.pei.de/DE/regulation/zulassung-human/zulassungsverfahren/zv-node.html (abgerufen am 21.02.2023) - vfa. Die forschenden Pharma-Unternehmen. Der Weg zum neuen Medikament;
https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/so-funktioniert-pharmaforschung/der-weg-zum-neuen-medikament.html (abgerufen am 21.02.2023) - Fraunhofer Cluster of Excellence Immune-Mediated Diseases CIMD. Phasen der Medikamentenentwicklung;
https://www.cimd.fraunhofer.de/de/kompetenzen/phasen-der-medikamentenentwicklung.html (abgerufen am 21.02.2023) - Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Expertengruppen Off-Label;
https://www.bfarm.de/DE/Arzneimittel/Zulassung/Zulassungsrelevante-Themen/Expertengruppen-Off-Label/_node.html(abgerufen am 21.02.2023) - Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA), „Antworten auf häufig gestellte Fragen zum Off-Label-Use";
https://www.g-ba.de/themen/arzneimittel/arzneimittel-richtlinie-anlagen/off-label-use/faq/#welche-risiken-bringt-der-off-label-use-fur-patientinnen-und-patienten-und-arztinnen-und-arzte-mit-sich (abgerufen am 21.02.2023) - Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA), „Off-Label-Use“;
https://www.g-ba.de/themen/arzneimittel/arzneimittel-richtlinie-anlagen/off-label-use/ (abgerufen am 21.02.2023) - Ulsenheimer K, Gaede K. Arztstrafrecht in der Praxis, C.F. Müller; 6. Aufl. 2021, Rn. 1172
- Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), „Off-Label-Use“;
https://www.gesundheitsinformation.de/off-label-use-worauf-muss-man-achten.html (abgerufen am 21.02.2023) - NetDoktor, „Off-Label-Use“; https://www.netdoktor.de/medikamente/off-label-use/ (abgerufen am 21.02.2023)
- Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V (BPI), „Orphan Drugs“;
https://www.bpi.de/alle-themen/ansicht-themen-nachrichten/orphan-drugs-fakten-und-vorurteile (abgerufen am 21.02.2023) - Krankheitsbezogenes Kompetenznetz Multiple Sklerose. Qualitätshandbuch MS/NMOSD (Stand 11/2021); Verfügbar unter:
https://ms-qualitaetshandbuch.de/wirkstoff/neuromyelitis-optica-spektrum-erkrankungen/ (abgerufen am 22.02.2023) - Kleiter I et al. Neurotherapeutics 2016; 13: 70-83
- Fachinformation Soliris®
- Fachinformation Enspryng®
- Fachinformation Uplizna®
▼ Dieses Arzneimittel unterliegt einer zusätzlichen Überwachung. Dies ermöglicht eine schnelle Identifizierung neuer Erkenntnisse über die Sicherheit. Angehörige von Gesundheitsberufen sind aufgefordert, jeden Verdachtsfall einer Nebenwirkung zu melden. Bitte melden Sie Nebenwirkungen an die Roche Pharma AG unter grenzach.drug_safety@roche.com oder Fax +49 7624/14-3183 oder an das Paul-Ehrlich-Institut unter www.pei.de oder Fax: +49 6103/77-1234.