Paroxysmale nächtliche Hämoglobinurie (PNH)
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Charakterisierung und Ursache
Die Paroxysmale Nächtliche Hämoglobinurie* (PNH) ist eine sehr seltene, maligne Erkrankung des blutbildenden Systems. Der Name PNH ist allerdings in mehreren Punkten irreführend: Der destruktive Prozess der Erythrozyten tritt nicht anfallsartig und nur nachts auf, sondern findet chronisch und auch tagsüber statt. Die Hämoglobinurie ist bei Erstdiagnose nur bei etwa einem Viertel aller PNH-Patient:innen überhaupt nachweisbar.1 Obwohl die Symptome und Komplikationen von PNH individuell sehr unterschiedlich sein können, beeinträchtigen sie die Lebensqualität der Betroffenen oft erheblich.2 Die häufigsten Probleme, die mit der Erkrankung einhergehen, sind Blutarmut (Anämie), Abgeschlagenheit (Fatigue), Blutgerinnsel und Nierenerkrankungen sowie Blutergüsse, Kurzatmigkeit und Kopfschmerzen, die ohne Vorwarnung kommen und gehen können, und zwar lebenslang.3 PNH kann in jedem Alter auftreten. Meist manifestiert sie sich jedoch zwischen dem 25. und 45. Lebensjahr und ist unabhängig vom Geschlecht. Die geschätzte Prävalenz einer PNH liegt bei bis zu 16 Fällen pro 1 Million Einwohner:innen und bei einer Inzidenz von etwa 1,3 Fällen pro 1 Million Einwohner:innen (Daten aus Großbritannien und Frankreich).1 Für Deutschland liegen keine verlässlichen epidemiologischen Daten zu Prävalenz und Inzidenz der PNH vor. Ihre klinische Heterogenität lässt vermuten, dass sie „unterdiagnostiziert“ wird.1
Eine PNH beruht auf einer erworbenen Mutation im PIGA-Gen (Phosphatidyl-Inositol-Glykan-A-Gen) hämatopoetischer Stammzellen. Der Gendefekt ist auf dem X-Chromosom lokalisiert. PIGA kodiert für ein Protein, das für die Bildung des GPI-Ankers (Glykosyl-Phosphatidyl-Inositol) für Membranproteine wesentlich ist. Durch die Mutationen im PIGA-Gen verlieren die Erythrozyten alle GPI-verankerten Proteine auf der Oberfläche. Dadurch sind die Zellen anfällig für eine Komplementaktivierung. Dies führt zu einer chronischen intravasalen und häufig auch extravasalen Hämolyse von Erythrozyten, die u.a. die Neigung zu Thrombosen (Thrombophilie) verstärkt und zum Auftreten von Zytopenien führen kann.1,4
Die PNH lässt sich in drei Formen unterteilen:1
- Primäre PNH: ohne zugrundliegende Störung des Knochenmarks
- Sekundäre PNH: im Zusammenhang mit anderen Knochenmarkserkrankungen (z.B. myelodysplastisches Syndrom oder myeloproliferatives Syndrom)
- Subklinische PNH: kleine GPI-defiziente Population, die keine laborchemischen oder klinischen Zeichen einer Hämolyse hervorruft.
* Paroxysmal = anfallsartig auftretend, Nächtlich = in der Nacht auftretend, Hämoglobinurie = Ausscheidung von Hämoglobin über den Urin
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Klinisches Bild und Diagnose
Das klinische Bild der PNH setzt sich aus zahlreichen verschiedenen Symptomen zusammen. Dazu gehören u.a. gastrointestinale Beschwerden, Fatigue, Dysphagie, erektile Dysfunktion, Dyspnoe, Thorax- und Beinschmerzen sowie eine Dunkelfärbung des Urins durch die Hämoglobinausscheidung.1,4 Die PNH verläuft klinisch variabel; Ausprägung und Kombination der klinischen Symptome können sich im Krankheitsverlauf ändern.
Um die Diagnose PNH zu sichern, werden Blut und Urin untersucht sowie eine Durchflusszytometrie und eine Knochenmarkzytologie durchgeführt. Differentialdiagnostisch muss die PNH von anderen Coombs-negativen hämolytischen Anämien abgegrenzt und ggf. Ursachen einer sekundären PNH abgeklärt werden.1
Die Anämie ist ein relativ konstanter Laborbefund bei einer PNH. Darüber hinaus zeigen sich im Blutbild in einigen Fällen Leukopenien und Thrombopenien. Zudem finden sich im Blut als Hämolyseparameter ein erhöhter indirekter Bilirubin-Wert, eine erhöhte LDH sowie ein reduziertes Haptoglobin. Der direkte Coombs-Test fällt negativ aus. Der aktuelle Goldstandard zur Diagnosesicherung ist die Durchflusszytometrie der GPI-verankerten Membranantigene oder des GPI-Ankers auf Granulozyten, Monozyten, Lymphozyten, Erythrozyten und Retikulozyten.1
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Therapie
Eine kausale Therapie ist bis heute nicht möglich. Die Behandlung ist von Patient:in zu Patient:in unterschiedlich und hängt vom Einzelfall ab. Prinzipiell kommen jedoch drei Behandlungsansätze infrage:
- Supportive Therapie
- Substitution von Erythrozytenkonzentraten, Folsäure, Vitamin B12, Eisen
- Antibiotika bei bakteriellen Infektionen
- Antikoagulation
- Immunsuppressive Therapie
- Kurative Therapie durch allogene Stammzelltransplantation
- Medikamentöse Therapie mit Komplement-Inhibitoren
Im Krankheitsverlauf ist es möglich, dass die PNH in eine aplastische Anämie (AA), eine akute myeloische Leukämie (AML) sowie ein myelodysplastisches Syndrom (MDS) übergeht. Es sind Einzelfälle einer spontanen Remission dokumentiert. Fulminant verlaufende Thromboembolien, unkontrollierte Infektionen sowie Blutungsereignisse gehören zu den schwerwiegenden Komplikationen und häufigsten Todesursachen in Zusammenhang mit einer PNH.1
- Supportive Therapie
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Referenzen
- Schubert J et al (2022). Onkopedia Leitlinie Paroxysmale Nächtliche Hämoglobinurie (PNH).
https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/paroxysmale-naechtliche-haemoglobinurie-pnh/@@guideline/html/index.html.
Stand: März 2022 (aufgerufen am 28.04.2022). - Groth M, et al. Development of a disease-specific quality of life questionnaire for patients with aplastic anemia and/or paroxysmal nocturnal hemoglobinuria (QLQ-AA/PNH)—report on phases I and II. Ann Hematol. 2017; 96(2): 171–181.
- Harder M, et al. Incomplete inhibition by eculizumab: mechanistic evidence for residual C5 activity during strong complement activation. Blood. 2017;129:970-980.
- Orpha.net (2017) Hämoglobinurie, nächtliche paroxysmale.
https://www.orpha.net/consor/cgi-bin/OC_Exp.php?lng=DE&Expert=447. Stand: Oktober 2017 (aufgerufen am 28.04.2022).
- Schubert J et al (2022). Onkopedia Leitlinie Paroxysmale Nächtliche Hämoglobinurie (PNH).